Artlenburger Deichverband warnt vor Gefahren und fordert neues Küstenschutz-Konzept vom Land

Die Auswertung der Pegeldaten haben Geschäftsführer Norbert Thiemann und Deichhauptmann Hartmut Burmester die erwartete Gewissheit gebracht. Die beiden jüngsten Sturmfluten an der Nordsee haben sich weit in das Gebiet des Artlenburger Deichverbandes (ADV) spürbar ausgewirkt. „Wieder einmal“, sagt der ADV-Geschäftsführer. „Zum letzten Mal drückte das Wasser bei der Sturmflut 2013 in Folge des Orkans Xaver so heftig in die Elbe stromaufwärts, dass wir stark steigende Pegelstände bis Bleckede verzeichneten“, blickt er zurück.

So war es nun auch wieder bei den Sturmfluten am zweiten Weihnachtstag 2016 und am vergangenen Mittwoch. In Hohnstorf waren es rund 70 Zentimeter an Weihnachten und 52 Zentimeter am 4. Januar, in den beiden gleichen Zeiträumen in Bleckede acht beziehungsweise 38 Zentimeter. „Die Ereignisse bereiten uns große Sorge“, sagt Hartmut Burmester. Auch wenn aktuell keine Gefahr für die Menschen hinter den Deichen bestand, weil die Elbe zurzeit einen normalen Wasserstand führt, so kann es dennoch ein Risiko für die Sicherheit geben. „Und zwar dann, wenn eine Sturmflut an der Nordsee und ein Hochwasser vom Oberlauf gleichzeitig auftreten und sich das Wasser bei uns staut.“ Dann wird es kritisch. „Wir wissen nämlich für einen solchen Fall nicht, ob unsere Deiche hoch genug sind“, sagt Norbert Thiemann nachdenklich. Zumal es im Gebiet des Deichverbandes bei Radegast, Barförde und Hohnstorf Engpässe gibt, die den Abfluss von Hochwasser ohnehin schon behindern. Die weiteren Folgen eines zusätzlichen Eisversatzes bei einem Winterhochwasser während einer gleichzeitigen Sturmflut an der Nordsee mag er sich vor diesem Hintergrund dann schon gar nicht vorstellen. „Das wäre der Super-GAU.“
„Es muss sich deshalb dringend etwas ändern, um genau solche Szenarien für die Zukunft zu verhindern“, fordert Deichhauptmann Hartmut Burmester. Das Land Niedersachsen müsse dafür sorgen, dass der Artlenburger Deichverband neben dem Hochwasserschutz im Binnenland auch konzeptionell und finanziell in den besser gestellten Küstenschutz eingebunden wird. Eine Forderung, die Hannover aber bislang ablehnt. „Ein erster Ansatz für mehr Sicherheit in einem Extremfall könnte sein, die Deiche zu erhöhen.“ Schließlich habe sich Hamburg genau zu diesem Schritt entschlossen, sagt er. „Die Hansestadt will die Deiche um rund 80 Zentimeter erhöhen.“ Erste Planfeststellungsverfahren in Hamburg zur Erhöhung des Klütchenfelder Hauptdeiches sind in Bearbeitung.
Der Grund für diese Entscheidung auf rechtselbischer Seite liegt für Thiemann auf der Hand. Die Hansestadt Hamburg baut ihre Deiche auf Grundlage einer neuen Bemessungssturmflut aus.
Da das Wehr in Geesthacht den oberhalb angrenzenden Abschnitt der Elbe nicht vollständig wie ein geschlossenes Sperrwerk vom Tideeinfluss abriegelt, seien somit auch künftig erhöhte Wasserstände bei Sturmfluten von mehr als 40 Kilometer oberhalb der Staustufe im gesamten Verbandsgebiet des Deichverbandes bis nach Alt Wendischthun zu erwarten. „Für uns ist bewiesen, dass Geesthacht nicht die Tidegrenze der Elbe ist. Sie muss mindestens bis in den Raum Bleckede verschoben werden, da die Deiche ein zusammenhängendes Sturmflut- und Hochwasserschutzsystem bilden“, so Norbert Thiemann.
Die einst auf Grundlage für die Errichtung des Wehres herangezogenen Berechnungen des Wasserstandes bei einer Sturmflut müssen ihm zufolge dringend erneuert und auf den Prüfstand gestellt werden. Das Zusammentreffen von Sturmflut und Hochwasser wurde nämlich nicht in die Berechnungen einbezogen. Und dass die Auswirkungen der jüngsten Sturmfluten keine Einzelfälle sind, belegen Zahlen des ADV. In einem Zeitraum vom 2. Januar 2003 bis 16. Mai 2008 sind am Pegel Hohnstorf etliche Sturmflutereignisse dokumentiert, die ebenfalls zu deutlichen Wasserstandserhöhungen geführt hatten. „Sturmfluten sind inzwischen eine dauerhafte Herausforderung für uns geworden, auch wenn es bislang glücklicherweise noch zu keiner kritischen Lage gekommen ist“, sagt Deichhauptmann Hartmut Burmester. Damit verbunden ist auch das Umdenken in der Finanzierung, ergänzt er.