Unruhe an der Elbe

Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) lotet seit 2016 aus, ob im Bereich Vitico zwischen Bleckede und Radegast der Elbdeich zurückverlegt werden kann. Träger des Projektes, für das der NLWKN eine Machbarkeitsstudie anfertigt, ist der Artlenburger Deichverband (ADV). Betroffen wäre von einer möglichen Verlegung des Deiches ins Landesinnere eine Fläche von rund 140 Hektar. Ziel des Vorhabens ist es, der Elbe bei Hochwasser mehr Raum zu geben, und so hohe Wasserstände um einige Zentimeter abzusenken. Untersuchungsergebnisse lassen allerdings auf sich warten, Gerüchte über den Trassenverlauf eines möglichen neuen Deiches machen hingegen die Runde. Deichhauptmann Hartmut Burmester und ADV-Geschäftsführer Ansgar Dettmer betonen im Interview, dass es bislang keine Entscheidung gibt. Das Ergebnis ist nach wie vor offen. Sie hoffen jedoch, dass ab Ende Februar erste Ergebnisse vorliegen.

Es gibt Unruhe in der Region. Ergebnisse sollten schon im Januar 2017 vorliegen. Warum gibt es Verzögerungen bei der Machbarkeitsstudie?

Ansgar Dettmer: Wir sind zwar Träger der Machbarkeitsstudie, haben aber keinen Einfluss auf den Zeitplan. Das Land ist zuständig. An der Studie wirken viele Akteure mit, die alle unter einen Hut gebracht werden müssen. Das benötigt Zeit.

Hartmut Burmester: Grundsätzlich begrüßen wir, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit geht. Denn einen Schnellschuss wollen wir nicht. Die Unruhe bemerken wir auch, vor allem im Bereich Radegast diskutieren die Menschen viel und es gibt Gerüchte über den Verfahrensstand. Das ist kein Wunder, schließlich gäbe es bei einer Rückdeichung dort die massivsten Einschnitte. Wir werden kritisiert, dass wir keine Informationen über Ergebnisse der Machbarkeitsstudie herausgeben. Wenn wir welche hätten, würden wir sie veröffentlichen. Wir haben aber keine.

Aber es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass es doch schon eine Entscheidung gibt.

Ansgar Dettmer: Verwirrend ist für die Anwohner im Bereich Radegast sicherlich, dass dort unabhängig von unserer Machbarkeitsstudie viele andere Projekte laufen wie zum Beispiel eine 2D-Simulation über einen möglichen Flutpolder, ein Sediment-Management wegen der Bildung von Sandbänken in der Elbe und die Untersuchung der sogenannten Uferrehnen. Das sind Uferaufhöhungen, die durch Ablagerungen bei Hochwasser entstehen. Außerdem sucht der Deichverband Flächen für den Klei-Abbau. Das Material benötigen wir aber nicht für den Bau eines neuen Deiches im Bereich Vitico, sondern für Reparaturen, die Beseitigung von Hochwasserschäden und in Zukunft anstehende Deicherhöhungen. Die Projektleiter beim NLWKN arbeiten an vielen Lösungsmöglichkeiten, zurzeit auch verstärkt in Kooperation mit Fachleuten von den Landesbehörden auf der anderen Elbseite. Das ist ein gutes Zeichen.

Hartmut Burmester: Das Land führt diese anderen Untersuchungen im eigenen Auftrag durch. Hintergrund ist, dass Niedersachsen politisch unter Druck steht und Möglichkeiten wie alle anderen Anrainer liefern muss für das nationale Hochwasserschutzprogramm, um den Wasserspiegel der Elbe bei Hochwasser zu senken. Daher untersucht das Land zurzeit auch weitere Alternativen in unserem Verbandsgebiet.

Warum hat der Deichverband die Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben? Weil er für die Rückverlegung des Deiches plädiert?

Ansgar Dettmer: Nein. Die mögliche Rückverlegung im Bereich Vitico ist nur ein Szenario von vielen anderen Optionen, die nach der Jahrhundertflut 2013 im nationalen Hochwasserschutzprogramm herausgearbeitet wurden. Es ist völlig offen, zu welchem Ergebnis die Machbarkeitsstudie kommt. Sie ist nichts anderes, als die Überprüfung einer Idee und ob diese technisch überhaupt möglich und ratsam ist.

Hartmut Burmester: Weil ein Teil unserer Mitglieder auf jeden Fall von einer Deichrückverlegung betroffen wäre, hatte der Vorstand einstimmig beschlossen, dass der ADV Träger der Machbarkeitsstudie werden soll. Wir wollten von Beginn an beteiligt sein, um später nicht einfach nur noch um eine Stellungnahme gebeten zu werden, falls das Land Niedersachsen die Entscheidung für eine Rückverlegung fällt.

Ist der Artlenburger Deichverband denn nun für die Rückverlegung oder nicht?

Hartmut Burmester: Nur weil der Deichverband Träger der Machbarkeitsstudie ist, heißt das nicht, dass wir auch für die Rückverlegung sind. Zurzeit gibt es keine verlässliche Daten- und Faktenlage, die es uns erlaubt, dass wir uns eine fachlich fundierte Meinung bilden können. Wir hoffen, dass die Machbarkeitsstudie uns neue Erkenntnisse liefert.

Ansgar Dettmer: Da die Datenlage so dünn ist, haben wir im Rahmen der Machbarkeitsstudie sogar zwei weitere Aufträge für Untersuchungen erteilt, die in die Studie einfließen. Es wird nun zusätzlich überprüft, wie sich Qualmwasser, das bei Hochwasser in der Elbe hinter den Deichen an die Oberfläche drückt, auf die Standsicherheit eines möglichen neuen Deiches und auf Flächen im Hinterland auswirkt. Dafür werden Anfang dieses Jahres fünf Brunnen gebohrt, an denen ein Jahr lang Messungen laufen. Nach deren Ende bleiben die Brunnen bestehen und werden in das Mess-Netzwerk für die Beobachtung von Qualmwasser bei Hochwasser integriert. Außerdem wollen wir wissen, ob ein neuer Deich die Situation bei Eisgang auf der Elbe verschlechtert, was eine Gefahr für die bestehenden Deiche zur Folge hätte. Im Winter 2003 hatten wir nämlich genau in dem Bereich, der für die Rückverlegung untersucht wird, dramatische Probleme mit Eisversatz am Deich. Die größte Gefahr für die Deiche ist nun einmal Eis-Hochwasser. Die Aufträge wurden von der Gesellschaft für Grundbau und Umwelttechnik in Zusammenarbeit mit dem Leichtweiß-Institut angenommen. Ich bin froh, dass sich nun solche ausgewiesenen Experten dieser schwierigen Aufgabenstellung widmen.

Hartmut Burmester: Wir beginnen erst über eine Rückverlegung zu diskutieren, wenn die Machbarkeitsstudie beispielsweise einen besseren Abfluss, sinkende Pegelstände und keine zusätzliche Gefahr bei Eisgang zweifelsfrei beweist. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass wir die Rückverlegung dann sofort ablehnen werden, wenn es negative Effekte für unser Verbandsgebiet gibt. vbm